Reformationseis

Ich kriegte einen Brief von guten Bekannten, in dem sie mir den Tag für ihren Umzug nannten:
der Reformationstag letztes Jahr -
und wenn ich helfen könnte, wär das wunderbar.
Ich kuckte also gleich in meinen Kalender.Was sah ich da? Oh nein, das war nicht mehr zu ändern.
Um 10.00 Uhr, ausgerechnet an diesem Tag,
war ich als Kantor für 'nen Gottesdienst gefragt.
Ich dachte, schade, Termin ist Termin.
Vielleicht geh ich danach ja noch zum Umzug hin.
Und so kam der Tag. Ich ging zum Gottesdienst
und wußte, es ist gut, wenn du den Tag so beginnst.
Ich spielte Choräle und sang die Liturgie.Die Predigt von damals vergesse ich nie.
Der Pfarrer sprach mit würdevollem Ton:"Das ist die Botschaft der Reformation:

Ganz unverdient, nicht durch Leistung und Streben,
ganz unverdient bekommst du das Leben.



Der Gottesdienst war aus, ich ging nach Haus,die Botschaft ging mir nicht mehr aus dem Kopf heraus.
Ich aß was zum Mittag, dachte drüber nach,
wie ich das jetzt am besten mit dem Umzug mach.
Denn ich wurde plötzlich müde, so nach dem Essen und dachte, ein Mittagsschlaf wär angemessen.
So träge und müde, wie ich jetzt grade bin,
macht meine Hilfe dort eh keinen Sinn.
Ich legte mich also erst mal in die Kissen mit einigermaßen ruhigem Gewissen,
dachte nicht mehr an Stühle, Tische, Kisten und Schränke.
Ich dachte, in Anbetracht meiner Gelenke schlaf ich mir erst mal richtig power an und dann helf` ich beim Umzug, aber wie ein Mann.
Ich schloß meine Augen ganz selig und brav.
Den seinen schenkt's der Herr im Schlaf.
Schließlich wachte ich auf, alles ging seinen Lauf,
jetzt ging es zum Umzug, ich freute mich drauf.



Ich sah mich schon Kisten und
Möbel schleppen
durch enge Flure und über steile Treppen. Doch als ich ankam mit meiner ganzen Kraft,
war der schöne Umzug schon von andern Freunden geschafft.
Und ich seh mich noch nutzlos in der Wohnungstür stehn, derweil die andern alle grade gehn.
Das Größte kommt nun wirklich am Schluß.
Mir war das ja peinlich, wie ich zugeben muß.
Da stand ich nun wie so'n falscher Fuffziger rum,
versuchte zu lächeln und fühlte mich dumm.
Doch mitten in meinen peinlichen Konflikt wurde mir ein Sahneeis in die Hand gedrückt.
Wir freuen uns, daß du noch gekommen bist
und daß du das Eis jetzt bei uns ißt.
Und nun frag ich mich ernsthaft: Wer ermißt,
wie real Reformationstag manchmal ist?

© 2005 Matthias Trommler

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